Hubert Aiwanger ist stellvertretender bayerischer Ministerpräsident und Wirtschaftsminister
Hubert Aiwanger ist stellvertretender bayerischer Ministerpräsident und Wirtschaftsminister


München – Am 8. Oktober 2023 sind etwa zehn Millionen Menschen in Bayern zur Wahl eines neuen Landtages aufgerufen. Alles spricht dafür, dass CSU-Chef Markus Söder, dessen Partei in aktuellen Umfragen auf 39 Prozent kommt, auch der künftige Ministerpräsident des Freistaates ist. Dafür braucht er allerdings einen Koalitionspartner. Im Juni dieses Jahres bekräftigte er erneut, die Regierungskoalition mit den Freien Wählern (FW) fortsetzen zu wollen. „Unser Ziel ist es, die Bayern-Koalition fortzusetzen“, sagte der 56-Jährige und legte sich damit bündnispolitisch fest. Mit dem Bekenntnis zur schwarz-orangen Koalition setzte Söder auch ein Solidaritätszeichen für Freie-Wähler-Chef und Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger. Der wurde von linksliberalen Massenmedien und politischen Gegnern wegen einer Rede in Erding in die rechte Ecke gestellt. Bei einer Kundgebung gegen das hochumstrittene Gebäudeenergiegesetz der Ampel-Regierung hatte der bodenständige Niederbayer vor 13.000 Bürgern gesagt, die Menschen müssten sich „die Demokratie zurückholen“. Die bayerischen Landtags-Grünen, deren Regierungsbeteiligung Markus Söder mehrfach ausgeschlossen hat, schwadronierten daraufhin von „Entgleisungen“ und forderten allen Ernstes die Entlassung Aiwangers. Das wiesen Christsoziale und Freie Wähler umgehend zurück. 

 

Alle aktuellen Umfragen sagen dem derzeitigen Regierungsbündnis bei der Landtagswahl einen klaren Sieg voraus. Unklar ist nur, wer wie weit abgeschlagen hinter der CSU den zweiten Platz belegen wird. Die Demoskopen sehen hier ein offenes Rennen zwischen den Grünen, der AfD und den Freien Wählern. Die Grünen werden bei 14 bis 15 Prozent taxiert, für die AfD werden 13 bis 14 Prozent gemessen, und die Freien Wähler liegen zwischen 11 und 14 Prozent. Deshalb will Parteichef Aiwanger seine sprichwörtliche Volksnähe im Wahlkampf ausspielen und klare programmatische Duftnoten setzen. Dazu gehört für ihn eine klare Abgrenzung nach links wie rechts. 

 

Der Freie-Wähler-Chef stört sich an der einseitigen Berichterstattung über Klimawandel und Dürresommer, hinter der er offenbar ein heimliches Wählerbeschaffungsprogramm für die Grünen wittert. Ende Juli schrieb er bei Twitter: „Der im Frühjahr vorausgesagte/vermutete Hitzesommer in Deutschland ist bisher ausgeblieben. Die letzten Tage vermehrt trüb/Regen, nachts für Juli relativ kühl.“ Seine politische Schlussfolgerung lautet: „Systematisch an den Klima-Herausforderungen arbeiten, aber keine Panik verbreiten.“ Klare Kante gegen die ökosozialistischen Träumereien der Grünen zu zeigen, gilt ihm als das beste Mittel, um die AfD hinter den Freien Wählern zu lassen. Der 52-Jährige sagte jüngst, dass er einen politischen Zusammenhang zwischen der Regierungsbeteiligung der Grünen im Bund und dem Erstarken der AfD sieht. „Die AfD bekämpft man am besten, indem man die Grünen bremst“, glaubt der Vize-Ministerpräsident. Derenideologiefixierte Politik treibe viele Menschen mental auf die Barrikaden, was unnötig Wasser auf die Mühlen der AfD sei. Den regierenden Grünen wirft er eine „zunehmende linksgrüne Bevormundung bis ins Alltagsleben“ und einen „ideologischen Kampf gegen Brennholz, Autofahrer und Fleischesser“ vor. Nur Spott hat der Agraringenieur für die Debatten übrig, die in bestimmten akademischen Großstadtmilieus geführt werden. Dass selbst Indianerspiele von Kindern inzwischen als „kulturelle Aneignung“ geächtet werden sollen, löst bei ihm Kopfschütteln aus. Politischen Entscheidungsträgern empfiehlt er dringend, mehr Zeit an echten Stammtischen zu verbringen, um einen unverfälschten Eindruck von den Alltagsnöten der Normalbürger zu bekommen. „Hätte Robert Habeck seine Heizungspläne am Stammtisch diskutiert, hätte er sein Heizgesetz rechtzeitig wieder kassiert, sich die Blamage und Deutschland viel Ärger erspart“, ist der bayerische Wirtschaftsminister überzeugt. Die Politik von CSU und Freien Wählern im Freistaat wünscht er sich für ganz Deutschland und spricht von einer „Koalition für Leistung, Eigentum und Vernunft“ mit Vorbildwirkung.

 

Durch einen offensiven und volksnahen Konservatismus, der bisweilen rhetorische Anleihen beim Populismus nimmt, hofft Aiwanger, einen noch größeren Wählerzustrom zur bayerischen AfD zu verhindern. Dass die in Umfragen noch unter 15 Prozent liegt, rechnet er sich als persönlichen Erfolg an. Mit Blick auf seine vielkritisierte Rede in Erding formuliert er selbstbewusst: „Wenn ich nicht wäre, hätten wir in Bayern höhere Umfragewerte für die AfD, und die Grünen wären noch ideologischer unterwegs.“ Die AfD-Spitzenkandidatin und frühere Landtagsfraktionsvorsitzende Katrin Ebner-Steiner bestätigt das unumwunden: „Unser Hauptproblem ist Hubert Aiwanger. Man muss eben konstatieren, dass in Bayern die Freien Wähler sind. Das ist in Hessen nicht so.“ Auch Politikwissenschaftler sind sich sicher, dass nicht die Söder-CSU in der Lage ist, die AfD einzudämmen, sondern nur Hubert Aiwanger. Seine gelegentlichen verbalen Tabubrüche und antigrünen Attacken scheinen Früchte zu tragen: Eine aktuelle Forsa-Umfrage zur Bayernwahl sieht die Freien Wähler bei 14 und die AfD bei 13 Prozent. 

 

Die Lufthoheit über den Stammtischen und Festzelten wird Aiwanger aber vom Ministerpräsidenten streitig gemacht. Markus Söder versucht krampfhaft, das CSU-Motto „Näher am Menschen“ mit Leben zu füllen und klappert beharrlich Volks- und Altstadtfeste ab. Nach eigenen Angaben will der Nürnberger bis zum Wahltag am 8. Oktober mindestens 110 Bierzeltauftritte absolvieren. Das scheint auch nötig zu sein, weil eine aktuelle Civey-Umfrage nur sehr mäßige Sympathie- und Zufriedenheitswerte für ihn ermittelte. Demnach sind 51 Prozent der Bayern mit ihrem Ministerpräsidenten „nicht zufrieden“, und ein Drittel äußerte sich sogar „schwer unzufrieden“. Nur 37 Prozent zeigten sich „zufrieden“ – das entspricht dem CSU-Stimmenanteil bei der letzten Landtagswahl im Oktober 2018. „Söder und Aiwanger ringen um die Bierzelt-Herrschaft“, titelte die „Abendzeitung“. In der Kunst der Bierzelt-Bespaßung könne Söder nur sein Vize ernsthafte Konkurrenz machen. „Wirtschaftsminister und Freie-Wähler-Vorsitzender Hubert Aiwanger beherrscht die Kunst der deftigen Polit-Unterhaltung in bierdunstgeschwängerter Atmosphäre ebenso gut“, stellte das Münchner Boulevardblatt fest. 

 

Auch in Fernsehsendungen präsentiert sich Aiwanger immer souveräner. In der ZDF-Sendung von Markus Lanz parierte er dessen Vorwürfe wegen der Erdinger Rede schlagfertig und rechnete mit der Einbürgerungs- und Integrationspolitik der Bundesregierung ab. Zu deren Plan, Asylbewerber schon nach drei bis fünf statt nach acht Jahren einzubürgern und zu deutschen Staatsbürgern zu machen, sagte er: „Es ist ein großer Fehler der Ampel, dass sie jetzt einbürgern, bevor man integriert hat.“ Die meisten der 2015 unter Merkel zugewanderten Syrer seien bis heute kaum integriert und bezögen Transferleistungen vom Staat. „Und jetzt rutschen die teilweise in Clans ab, und der Staat schaut wieder tagelang zu, bis ein Friedensrichter eingreift.“ Solche Klartext-Worte honorieren immer mehr Bayern.

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