München – Als „besonnen, seriös, kompetent und behäbig“ beschrieb die „Süddeutsche Zeitung“ einmal Deutschlands dienstältesten Innenminister. Über den seit 2007 für die bayerische Innenpolitik zuständigen Christsozialen notierte das linksliberale Blatt im Sommer 2016: „In den Tagen des Terrors ist Joachim Herrmann zum Sicherheitsminister Nr. 1 in Deutschland geworden. Wer war der Amokläufer von München? Wer die Attentäter von Ansbach und Würzburg? Wie sicher ist Deutschland noch? Nachrichtensendungen sind gerade Herrmann-TV. Besonnen, seriös, kompetent: So lernen die Leute bundesweit den bayerischen Innenminister gerade kennen.“ Und „Behäbigkeit“ attestierten ihm die beiden „SZ“-Autoren, was in Zeiten wachsender Verunsicherung und polit-medialer Aufgeregtheiten als positiver Charakterzug gelten kann.
Der gebürtige Münchner, der in Erlangen aufwuchs, gilt als Schwergewicht der bayerischen Landespolitik mit großer Verlässlichkeit und Berechenbarkeit. Diese bei Politikern häufig schmerzhaft vermissten Eigenschaften korrespondieren mit dem Fehlen aller Ego-Allüren. Dazu sagte Herrmann in der ihm eigenen Bescheidenheit: „Ich gehöre nicht in die Abteilung, in der Politik in erster Linie Selbstdarstellung ist. Und ich bin ja nicht schlecht gefahren damit.“ Wer wollte ihm da widersprechen? Der verheiratete Vater dreier Kinder ist seit 1994 Mitglied des Bayerischen Landtages und war bis zu seiner Innenminister-Ernennung vor 15 Jahren längere Zeit Fraktionschef der CSU im Landesparlament. Als Ministerpräsident Markus Söder im März 2018 sein neues Kabinett vorstellte, übernahm er den lang gedienten und politikerfahrenen Joachim Herrmann erwartungsgemäß als Innenminister und machte ihn zu einem seiner Stellvertreter. Allerdings gab es in einigen Ministerien Änderungen der Geschäftsbereiche. Ein neues Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr übernahm die Bau- und Verkehrszuständigkeiten des bisherigen Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr. Herrmanns neues Ministerium des Innern und für Integration verantwortet alle klassischen Bereiche des Inneren und übernahm zusätzlich die Zuständigkeit für die Integrations- und Migrationspolitik einschließlich der Sozialleistungen für Asylbewerber. Er führt seit 2018 deshalb auch den Titel als Integrationsminister.
In dieser Eigenschaft fühlt sich Herrmann derzeit besonders herausgefordert. Die Zuwanderung nach Deutschland erreicht wieder Dimensionen wie zur Zeit der Migrationskrise 2015/16. Zu den mehr als eine Million ukrainischen Flüchtlingen, die seit dem Kriegsausbruch Ende Februar 2022 eingereist sind, kommen viele Asylbewerber aus Afrika sowie dem Nahen und Mittleren Osten. Von Januar bis September 2022 hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) insgesamt 154.557 Asylanträge entgegengenommen – 134.908 Erst- und 19.649 Folgeanträge. Gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres mit 100.278 Erstanträgen ist das ein deutlicher Anstieg um 34,5 Prozent. Allein im September 2022 wurden hierzulande 18.720 Asylerstanträge gestellt.
Auch der Freistaat hat schon Probleme mit der Unterbringung der vielen Ankömmlinge. „Wir liegen teils schon über 100 Prozent in den Anker-Einrichtungen“, gab Herrmann jüngst zu bedenken. „Für die Anschluss-Unterbringung sind es über 90 Prozent. Es ist absehbar, dass wir nicht mehr viele Menschen in Bayern neu aufnehmen können.“ Anstatt die Migration zu begrenzen, sorge die Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP für immer weitere Zuwanderungsanreize, rüffelt der Landesinnenminister. Er hat die „Ampel“ aufgefordert, lieber die seit einem Jahr angekündigte Rückführungsoffensive zu starten, als neue Pull-Faktoren für Asylbewerber zu schaffen. „Diese Bundesregierung betreibt immer das gleiche Spiel: Mit ihrem aktuellen Gesetzentwurf, die Regelüberprüfung abzuschaffen, ob anerkannte Asylbewerber weiter asylberechtigt sind, sendet sie nach weiteren Aufnahmeprogrammen oder dem Bleiberecht für Geduldete erneut das Signal einer grenzenlosen Aufnahmebereitschaft in alle Welt“, so der CSU-Politiker. „Zugleich lässt sie aber jede Anstrengung vermissen, abgelehnte Asylbewerber wieder außer Landes zu bringen. Wo bleibt die Rückführungsoffensive? Wo bleiben die im Koalitionsvertrag versprochenen Abkommen mit den Herkunftsländern abgelehnter Asylbewerber?“
Sein Bundesland schiebe im Rahmen des Möglichen ausreisepflichtige Asylbewerber ab. Bis September seien in diesem Jahr einschließlich der Dublin-Überstellungen 1.549 Abschiebungen vollzogen worden, und 16.750 Flüchtlinge hätten sich für eine freiwillige Ausreise aus Bayern entschieden. Herrmann ist überzeugt, dass die Abschiebezahlen bei mehr Unterstützung des Bundes, zum Beispiel durch Rücknahmeabkommen mit afrikanischen Ländern, deutlich erhöht werden könnten. Der Söder-Stellvertreter warnt in großer Deutlichkeit vor einer weiter ansteigenden Zuwanderung in die Sozialsysteme. Schon jetzt seien in Deutschland trotz der guten Arbeitsmarktlage rund 900.000 Ausländer arbeitslos gemeldet: „Es kann doch angesichts dieser Zahlen nicht ernsthaft das Bestreben der Bundesregierung sein, die Sozialsysteme weiter zu belasten. Es ist absurd: Die ‚Ampel‘ gibt immer mehr Menschen das Signal, nach Deutschland zu kommen, obwohl ein großer Anteil davon dann in Sozialleistungsbezug fällt anstatt in ein Beschäftigungsverhältnis zu kommen und unternimmt nichts, abgelehnte Asylbewerber wieder zurückzubringen.“ Zur Linderung des Fachkräftemangels trage diese Politik nicht im Entferntesten bei. Der Reserveoffizier der Bundeswehr befürchtet, dass mit dem von der Bundesregierung beschlossenen Bürgergeld als Hartz-IV-Nachfolger fatale Fehlanreize geschaffen werden. Die Sanktionen für unwillige Arbeitssuchende zu streichen, hält Herrmann für einen großen Fehler. Außerdem verstoße die vorgesehene Höhe des neuen Bürgergeldes gegen das Lohnabstandsgebot. Immer mehr Menschen stünden mit Sozialleistungen besser da, als wenn sie für den Mindestlohn arbeiteten. Unser dieser Kreis wachse noch. „Falls das ‚Chancen-Aufenthaltsrecht‘ der Ampel in den nächsten Wochen wirklich in Kraft tritt, bekommen abgelehnte Asylbewerber sofort Zugang zu deutschen Sozialleistungen weit oberhalb der bisherigen Hilfen für Flüchtlinge“, warnt der Integrationsminister.
Der Christsoziale spricht bei diesen gesellschaftlich kontroversen Themen immer Klartext, dürfte aber wegen seines Naturells auch froh sein, wenn er sich um ganz praktische Fragen der Alltagsverbesserung kümmern kann. So stellte er jetzt gemeinsam mit Digitalministerin Judith Gerlach ein innovatives Feuerwehr-Projekt vor: eine virtuelle, aber sehr realitätsnahe Trainingsanlage zur Bekämpfung von Innenbränden. Auf dem Gelände der Staatlichen Feuerwehrschule Würzburg können Feuerwehrleute künftig die Brandbekämpfung im Innenbereich in einer neuartigen Übungsanlage trainieren. Die Entwicklung des Trainings gilt als Meilenstein bei der Digitalisierung der Feuerwehrausbildung: Ohne großen Vorbereitungsaufwand könnten künftig alle denkbaren Einsatzsituationen wiederholt durchlaufen werden und sich die Übungsleitnehmer selbst im 3D-Raum beobachten, so Herrmann, der das Projekt am 7. November mit seiner Kabinettskollegin und dem Leiter der Würzburger Feuerwehrschule der Öffentlichkeit vorstellte.
Gleichentags holte ihn wieder ein anderes Streitthema ein: die rechtswidrigen Straßenaktionen der „Klima-Kleber“. Die Fanatiker von „Letzte Generation“ wollen die Bundesregierung nun mit einem Ultimatum erpressen und rufen ihre Unterstützer dazu auf, auch in Bayern Aktionen durchzuführen. Herrmann drohte den Klima-Chaoten mit Vorbeugehaft, weil sich der Staat nicht erpressen lassen dürfe. „Es sind einzelne Akteure unter den selbsternannten Klimaschützern, die glauben, den Klimawandel bewältigen zu müssen, indem sie sich nicht an die Regeln des demokratischen Rechtsstaats halten. Das ist gefährlich und macht mir große Sorge“, sagte der erfahrenste Innenpolitiker Bayerns.