Berlin – Für die sächsische AfD war die Bundestagswahl am 26. September ein voller Erfolg. Trotz eines leicht rückläufigen Stimmenanteils baute sie ihren Status als rechtskonservative Volkspartei aus und deklassierte vielerorts die CDU. Bei der Bundestagswahl 2017 sicherte sich die AfD im Freistaat drei Direktmandate – nun gewann sie zehn von 16 Bundestagswahlkreisen. CDU, SPD und Linke konnten bei den Erststimmen hingegen in Dresden, Leipzig und Chemnitz punkten.
Der AfD-Politiker gewann den Wahlkreis 165 mit einem Erststimmenanteil von 25,6 Prozent
Einer der zehn direkt gewählten sächsischen AfD-Bundestagsabgeordneten ist Matthias Moosdorf. Der im April 1965 in Leipzig geborene Cellist jagte Carsten Körber (CDU) das Direktmandat ab und vertritt nun den Bundestagswahlkreis 165 (Zwickau) in Berlin. „Am Sonntagmorgen saß Carsten Körber in seinem Heimatort Mülsen St. Micheln pünktlich in der Kirche zum Erntedankgottesdienst. Vielleicht hat der CDU-Kandidat, der seit 2013 zweimal in Folge das Direktmandat im Bundestagswahlkreis Zwickau gewonnen hat, dort auch heimlich den lieben Gott um Unterstützung gebeten“, schrieb die „Freie Presse“ mit leicht ironischem Unterton, nachdem der Wahlkreissieg der AfD feststand und der Christdemokrat sein Direktmandat verloren hatte. Moosdorf erhielt 25,6 Prozent der Erststimmen und der Zweitplatzierte Körber 21,2 Prozent. Auch bei den Zweitstimmen siegte im Wahlkreis Zwickau die AfD. 25,1 Prozent der Wähler machten bei ihr das Kreuz. Die SPD landete mit 21,1 Prozent auf Platz zwei vor der CDU mit mageren 18,6 Prozent. Der Erststimmenanteil des Musikers lag somit noch 0,5 Prozent über dem Zweitstimmenanteil seiner Partei.Die Wahlbeteiligung betrug 74,4 Prozent.
Über den spannenden Wahlabend sagte der ausgebildete Elektroniker und studierte Cello-Musiker, der nun Bundestagsabgeordneter ist: „Ich habe die Auszählung online sehr detailliert bis in die einzelnen Wahllokale verfolgt. Ich habe mich gefreut, dass wir offenbar einen Nerv getroffen haben in unserem Wahlkampf. Und ich war zunehmend mehr überwältigt, wie klug die Menschen trotz des medialen Trommelfeuers gegen die AfD abgestimmt haben.“ In Berlin will sich der 56-Jährige für einen Politikwechsel einsetzen: „Wir wollen wieder ein normaleres Deutschland, andere politische Rahmensetzungen. Bildung statt Haltung, mehr Freiheit, mehr Selbstverantwortung, mehr nationale Souveränität, mehr Netto vom Brutto. Die Verwerfungen der 16 Merkel-Jahre sind ja auch in Zwickau spürbar. Viele davon sind Irrsinn, ideologisches Wünsch-Dir-Was. Das muss weg, neu aufgesetzt werden.“
Dass der Sohn des Violinisten Otto-Georg Moosdorf das Zwickauer Direktmandat gewinnen würde, war zwei Monate vor dem Urnengang alles andere als sicher. Die Hochburgen der sächsischen AfD lagen bis dato in Ost- und nicht in Westsachsen. Die Union unter ihrem Kanzlerkandidaten Armin Laschet stand in Umfragen nicht gut da, war aber auch noch nicht abgestürzt. Und außerdem trat Matthias Moosdorf gegen einen Unionskandidaten an, der seit 2013 dem Bundestag angehörte und deshalb viele Jahre Zeit hatte, sich den Zwickauern bekannt zu machen. Trotzdem konnte der gebürtige Leipziger, der seit 2016 AfD-Mitglied ist, den Wahlkreis gewinnen. Neben einem engagierten Wahlkampfteam und dem guten Lauf, den die AfD in Sachsen sowieso hat, dürften die Persönlichkeit und der politikeruntypische Werdegang Moosdorfs den Ausschlag für seine Direktwahl gegeben haben.
Nach dem Abitur mit einer Berufsausbildung im Fach Elektronik studierte er von 1986 bis 1991 an der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ in Leipzig. Nach dem erfolgreichen Abschluss folgten Kammermusikstudien beim Amadeus-Quartett in Köln und London, bei Hatto Beyerle in Hannover und Walter Levin in Lübeck. Moosdorf wurde Gründungsmitglied und Geschäftsführer des Leipziger Streichquartetts sowie Solocellist und Geschäftsführer des Leipziger Kammerorchesters. In den Jahren 1996 bis 2005 hatte er einen Lehrauftrag für Violoncello und Kammermusik an der Hochschule „Felix Mendelssohn Bartholdy“ und war von 2008 bis 2013 Gastprofessor an der Gedai University of Arts in Tokio. Dem schlossen sich Gastprofessuren in zahlreichen Ländern an. Danach wurde Moosdorfs Tätigkeitsfeld immer breiter: er hielt Fachvorträge, organisierte Festivals und begann publizistische Duftnoten zu setzen. 2007 gab er beispielsweise ein Buch über die Streichquartette Ludwig van Beethovens heraus.
2016 wandte sich der verheiratete Vater von vier Kindern der Politikberatung zu und beriet im Folgejahr die AfD-Fraktion im Sächsischen Landtag. In diesem Zusammenhang steht die Gründung der Pierrot Lunaire GmbH in Leipzig, die die Erstellung von Redemanuskripten und parlamentarischen Anfragen, Politik-Coaching, Kontaktvermittlung, Imageberatung und Recherchearbeiten anbietet. Seit 2017 arbeitete Moosdorf als wissenschaftlicher Mitarbeiter für einen AfD-Bundestagsabgeordneten und entfaltete eine rege Publikationstätigkeit für Magazine und Zeitungen. Er gehörte zu den Initiatoren der zuwanderungskritischen „Gemeinsamen Erklärung 2018“ und war einer der Kampagnenleiter gegen den Globalen Migrationspakt der Vereinten Nationen.
„Alle gesellschaftlichen Großprojekte, von der Energiewende bis zur Transformation zur Elektromobilität, von der multikulturellen Welt bis zur Eurorettung, von der Willkommenskultur bis zur Klimarettung aus deutscher Kraft und Gründlichkeit, sind fast ohne Bezug zu Machbarkeit und Realität geplant“, kritisiert der Neu-Abgeordnete. „Schon unsere unmittelbaren Nachbarn folgen uns nicht, von der Welt gar nicht zu reden. Neue deutsche Sonderwege aber brauchen wir nicht – hier hat Skepsis nichts mit Spaltung zu tun, sondern mit gesundem Menschenverstand“, formuliert Moosdorf. Auf seiner Internetseite prangert er einen ideologiegetriebenen Aktionismus an: „Wohin derlei Experimente führen, haben wir in Sachsen im letzten Jahrhundert leidvoll erfahren müssen. Von hier aus ging aber auch ein Ruck durch Deutschland, von hier aus machte sich die Vernunft auf den Weg. Wir können Tatkraft und Realismus, Kultur und Bildung, Wissenschaft und Innovation! Lassen Sie uns zu einer normalen Politik zurückfinden. Lassen Sie uns eine Zukunft für unsere Kinder bauen, lebenswert, sicher, selbstbestimmt, in Freiheit und Verantwortung. Für ein Deutschland, in dem wir wirklich gern und gut leben können.“
Gerade wegen seiner Welterfahrung durch viele Auslandsaufenthalte weiß der AfD-Politiker, wie wichtig eine vernünftige Renationalisierung auch für die demokratische Verfasstheit der Bundesrepublik ist. Im Vorfeld der Wahl wurde er von Redakteuren südwestsächsischer Schülerzeitungen nach den Gründen seiner EU-Kritik gefragt. Gewohnt sachlich erklärte er, dass die EU für ihn in allen großen Fragen der Zeit versagt habe: „Migration ist ein Beispiel. Die meisten Länder wollen und werden dem deutschen Beispiel nicht folgen. Das ist auch in der Ausstiegspolitik im Rahmen der sog. Energiewende der Fall. Wir schalten Kraftwerke ab und unsere Nachbarn bauen welche auf – um uns danach ihren Strom zu verkaufen. Das ist dumm.“ Während der Corona-Pandemie habe Brüssel bei den meisten Bürgern letzten Kredit verspielt. Deshalb wolle die AfD eine neue partnerschaftliche Zusammenarbeit souveräner Nationalstaaten.
Die Schüler interessierte außerdem, wie der Vertreter Zwickaus im Bundestag mit dem Spannungsfeld zwischen Fraktionsdisziplin und freiem Abgeordnetengewissen umzugehen gedenkt. Fraktionsdisziplin sei manchmal unumgänglich, antwortete Moosdorf und betonte, dass Kompromissbereitschaft zur Kontroverse gehöre. „Und das Einordnen der eigenen Meinung unter eine gefundene Mehrheitsmeinung ist ein Merkmal unserer Demokratie.“