München – Die Corona-Politik mit ihrem gefühlten Endlos-Lockdown belastet insbesondere Kinder und Jugendliche schwer. Das merken immer dramatischer die jugendpsychiatrischen Einrichtungen, deren Bedarf an Behandlungsplätzen enorm gestiegen ist. Die Kinder- und Jugendpsychiatrien haben inzwischen ihre Belastungsgrenzen erreicht. Der Betreuungsbedarf sei in der Corona-Krise massiv gestiegen, sagte beispielsweise Gerd Schulte-Körne. Der Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie der Universität München verglich die aktuelle Situation mit einem Fass, das gerade überlaufe. „Es gibt psychiatrische Erkrankungen in einem Ausmaß, wie wir es noch nie erlebt haben“, unterstrich auch Jakob Maske vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ). „Kinder und Jugendliche wurden in der Pandemie von Anfang an massiv vernachlässigt. In der ersten Phase waren die pauschalen Einschränkungen wie Schul- und Kitaschließungen noch nachvollziehbar. Aber inzwischen haben wir gelernt, dass Kinder die Infektion deutlich weniger weitertragen und selbst deutlich seltener erkranken als Erwachsene“, so der BVKJ-Sprecher. Es seien „verheerende Langzeitfolgen“ für Kinder und Jugendliche zu befürchten. „Die Kinder- und Jugendpsychiatrien sind voll, dort findet eine Triage statt. Wer nicht suizidgefährdet ist und ‚nur‘ eine Depression hat, wird gar nicht mehr aufgenommen“, beklagte Jakob Maske.
Fraktionssprecherin für Arbeit, Soziales, Jugend, Familie, Frauen und Menschen mit Behinderung
Das Wort „Triage“ kommt aus dem Französischen und bedeutet so viel wie Auswahl. Es steht mithin für ein bestimmtes Auswahl- und Priorisierungsverfahren in Notlagen. In der Medizin meint es, dass ein Arzt entscheiden muss, wem er hilft und wem nicht. Das ist immer dann der Fall, wenn es wegen eines zu hohen Patientenaufkommens zur Überschreitung von Behandlungskapazitäten kommt.
Scharfe Kritik an der politischen Vernachlässigung von Kindern und Jugendlichen in der Corona-Krise äußerte jetzt die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP im Bayerischen Landtag. „Angesichts der Meldungen über eine mögliche Triage in den Kinder- und Jugendpsychiatrien müssen bei der bayerischen Staatsregierung die Alarmglocken schrillen. Wenn nur noch suizidgefährdete Kinder und Jugendliche aufgenommen werden, ist das absolut schockierend“, sagte Julika Sandt, die auch kinder- und jugendpolitische Sprecherin ihrer Fraktion ist. Dass sich die Corona-Belastungen auf die Psyche junger Menschen auswirken, wundert sie gar nicht. Seit über einem Jahr sei ja praktisch alles eingeschränkt oder verboten, was Kindheit und Jugend ausmache: „Keine Kita, kaum Schule, keine Jugendarbeit, kein Treffen mit Freunden, kein Sport.“ Nach monatelangen Einschränkungen müssten Kinder und Jugendliche endlich wieder zurück ins normale Leben, mahnt die Mutter einer Tochter. Sandt sieht die bayerische Staatsregierung aus Christsozialen und Freien Wählern in der Pflicht, entschlossen zu handeln und möglichst schnell allen jungen Menschen eine Perspektive zu geben. „Kita, Schule, Jugendarbeit und der gesamte Sport müssen inzidenzunabhängig öffnen“, verlangt die engagierte Liberale. Die Sparpolitik in der jugendpsychiatrischen Versorgung müsse beendet und die Jugendsozialarbeit an Schulen flächendeckend eingeführt werden. „Gerade die psychischen Folgen des Lockdowns abzufedern, bedarf es einer mit allen Akteuren abgestimmten Strategie zur psychischen Gesundheit“, ist die 49-Jährige überzeugt.
Pünktlich zum Tag der Kinderbetreuung am 10. Mai begann an den Grundschulen bis zu einer Sieben-Tage-Inzidenz von 165 der Wechselunterricht. Seitdem besuchen viele Kinder auch wieder die Nachmittags- und Hortbetreuung. Selbst dort gilt in den Außenbereichen eine Maskenpflicht. Sandt forderte unlängst, die Maskenpflicht für Kinder im Freien abzuschaffen. Die Kinder müssten von mittags bis zum späten Nachmittag beim Toben, Fußballspielen und Seilspringen im Freien Mund-Nasenschutz tragen – und das ohne triftigen Grund. „Denn die Forschungsergebnisse der Gesellschaft für Aerosolforschung sprechen eine klare Sprache: Das Coronavirus wird im Freien nur äußerst selten übertragen und führt nie zu Cluster-Infektionen“, argumentierte die Politikerin. Die zuständigen Minister Carolina Trautner und Michael Piazolo müssten den Kindern diese „unnötige Zumutung hinter Schulhofmauern und auf Hortgeländen“ ersparen.
Julika Sandt ist in der bayerischen Landespolitik keine Unbekannte. Schon von 2008 bis 2013 vertrat sie die Freien Demokraten im Bayerischen Landtag und war Mitglied der Ausschüsse für Bildung, Jugend und Sport sowie für Eingaben und Beschwerden. In ihrer Fraktion bekleidete sie das Amt als Sprecherin für Kultur, Medien, Jugend und Sport. Nach dem Abschluss eines Studiums der Kunstgeschichte, Germanistik und Philosophie arbeitete sie als Wirtschaftsredakteurin, Pressestellenleiterin und Chefredakteurin. Die gebürtige Hildesheimerin ist seit 2004 FDP-Mitglied und zeigte schnell parteipolitisches Engagement. So war sie von 2006 bis 2008 Vize-Vorsitzende und Pressesprecherin des FDP-Stadtverbandes München und wurde 2008 zudem Mitglied eines Münchner Bezirksausschusses. Ein guter Platz auf der FDP-Bezirksliste Oberbayern sicherte ihr im gleichen Jahr ein Landtagsmandat. Bei der letzten Landtagswahl 2018 gelang der FDP knapp der Wiedereinzug in den Landtag. Mit ihr zog auch die erfahrene Landespolitikerin wieder ins Maximilianeum ein. Sandt gehört seitdem dem Landtagsausschuss für Arbeit und Soziales, Jugend und Familie an und ist Fraktionssprecherin für Arbeit, Soziales, Jugend, Familie, Frauen und Menschen mit Behinderung. Sie arbeitet außerdem in der Kinderkommission des Bayerischen Landtages und im Stiftungsrat der Stiftung Opferhilfe Bayern mit.
Aber wie kam die stellvertretende Vorsitzende der FDP-Landtagsfraktion überhaupt in die Politik? Das erklärte sie nun der Schülerin und Bloggerin Livia Josephine Kerp. Auf deren Frage, wie sie zur Politik gekommen sei, antwortete Julika Sandt: „Mit 18 wollte ich noch keiner Partei beitreten, weil keine wirklich zu 100 Prozent für das stand, was ich wollte. In jeder Partei gab es Punkte, die ich besser oder schlechter fand. Aber irgendwann, als ich Ende 20 war, habe ich mehr und mehr gemerkt, dass es immer öfter Überschneidungen mit den Themen der FDP gab – mit der liberalen Grundhaltung, dass der Staat so wenig wie möglich bevormundet, sondern vor allem die Freiheit der Menschen sichert.“ Damals habe in Bayern die CSU allein regiert und im Bund die Regierungskoalition aus SPD und Grünen. „Ich habe mich immer öfter über die Regierungsarbeit geärgert und so dachte ich mir, dass ich nur was ändern könnte, wenn ich in einer Partei bin. So habe ich mich entschlossen, in die FDP einzutreten“, sagte Sandt ihrer 19-jährigen Interviewpartnerin. „Ich habe mich dann immer öfter in der Partei engagiert, wie Pressesprecherin der Münchner FDP, und so habe ich dann auch gemerkt, dass es total viel Spaß macht, in der Politik mitzumischen und die Möglichkeit zu bekommen, etwas zu verändern.“ Das dürfte die Landtagsabgeordnete noch heute so sehen.