Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sieht sich als politischen Superhelden
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sieht sich als politischen Superhelden

München – Im jungen Markus Söder hatte die CSU-Ikone Franz Josef Strauß einen großen Bewunderer gefunden. Während in anderen Teenie-Zimmern Poster von Musikgruppen oder linken Säulenheiligen wie Che Guevara hingen, blickte der Spross einer fränkischen Handwerkerfamilie auf Bayerns wortgewaltigen Ministerpräsidenten. Söder erinnerte sich später: „Strauß, dieses Kraftuhrwerk, dieser Titan der Worte, hat mir unheimlich gut gefallen. Ich hatte sogar ein riesengroßes Poster von Strauß, fast überlebensgroß. Ich wohnte bei uns zu Hause unter einer Dachschräge und dort hing dieses Poster. Wenn ich aufgewacht bin, habe ich also an der Decke direkt Strauß angeschaut. Das hat sich in späteren Jahren als gar nicht so einfach erwiesen, wenn dann auch mal eine Freundin da war und die auch Strauß zuerst gesehen hat. Das war nicht immer ganz so einfach. Aber Strauß hat mir wirklich sehr gefallen.“

Bleibt Markus Söder sich selbst treu und kämpft immer im Windschatten des Zeitgeistes?

1983 trat der gebürtige Nürnberger der Jungen Union sowie der CSU bei und wurde 35 Jahre später selber Ministerpräsident des Freistaates Bayern. 2019 übernahm er auch noch den Parteivorsitz der CSU. An die Wahlerfolge seines 1988 verstorbenen Idols konnte der promovierte Jurist aber nie anknüpfen. Bei Strauß‘ letzter Landtagswahl 1986 holten die Christsozialen mit 55,8 Prozent erneut ein Spitzenergebnis und konnten ihre gewohnte Alleinregierung fortsetzen. Bei der Landtagswahl 2018 kam die CSU unter ihrem Spitzenkandidaten Markus Söder nur noch auf 37,2 Prozent und erzielte ihr schlechtestes Ergebnis seit 1950. In diesem Jahr landete die CSU bei 37,0 Prozent, während sich die Freien Wähler auf 15,8 Prozent und die AfD auf 14,6 Prozent steigern konnten. Damit wählten bei der Landtagswahl im Oktober 2023 mehr als 30 Prozent der Bayern rechts der CSU. Dabei lautete Franz Josef Strauß‘ in Stein gemeißelte Maxime doch: „Rechts von der CDU/CSU darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben.“ Im August 1987 hatte der CSU-Übervater angesichts des Aufschwungs der „Republikaner“ die CDU davor gewarnt, ihre Stammwählerschaft zu verprellen, zu der er ausdrücklich auch Nationalkonservative und Nationalliberale zählte. 

 

Markus Söder gelang es bei Landtagswahl 2018 nicht, den Einzug der AfD ins Maximilianeum zu verhindern – und das gleich mit 10,2 Prozent. In diesem Wahljahr hatte er zunächst migrationskritische Töne angeschlagen und von „Asyltourismus“ gesprochen. Die Menschen hätten kein Verständnis dafür, dass Migrantentrotz eines Einreiseverbots immer wieder nach Deutschland kämen: „Ein Großteil der Bürger fragt sich außerdem: Wieso soll jemand, der einen Asylantrag in Spanien gestellt hat, sein Verfahren in Deutschland betreiben?“ Nach massiver SPD- und selbst CDU-Kritik ruderte Söder im Juli 2018 – drei Monate vor der Landtagswahl – zurück und vollzog eine 180-Grad-Wende. Vor dem bayerischen Landtag schwor er dieser Wortwahl, mit der er AfD-Wähler erreichen wollte, medienwirksam ab: „Für mich persönlich gilt: Ich werde das Wort ‚Asyltourismus‘ nicht wieder verwenden, wenn es jemanden verletzt.“ Im Landtagswahlkampf versuchte der Ministerpräsident nicht einmal mehr, rechtskonservative Wähler zurückzugewinnen, sondern umgarnte stattdessen die linke Mitte. Der CSU-Chef gab sich mitunter grüner als die Grünen und verunsicherte damit die Stammwählerschaft seiner Partei. Das Resultat war ein Stimmenverlust von 10,5 Prozent.

 

Inzwischen präsentiert sich Söder bei maximaler Abgrenzung zur AfD wieder konservativer, was auch ein Zugeständnis an seinen neuerlichen Koalitionspartner Hubert Aiwanger ist. Der Freie-Wähler-Chef hatte sich im Vorfeld der jüngsten Landtagswahl als anti-grüner Vertreter des gesunden Menschenverstandes profiliert und damit vor allem im ländlichen Bayern gepunktet. In seiner ersten Regierungserklärung nach der Erneuerung der schwarz-orangen Koalition wandte sich Söder gegen die Sonderzeichen der „geschlechtsneutralen“ Sprache. Vor den Abgeordneten kündigte er ein Verbot des Genderns in bayerischen Schulen und Behörden an: „Für Bayern kann ich sagen: Mit uns wird es kein verpflichtendes Gendern geben. Im Gegenteil: Wir werden das Gendern in Schule und Verwaltung sogar untersagen.“ Zum Schutz des amtlichen Regelwerks der deutschen Rechtschreibung will er das Binnen-I, den Unterstrich, den Doppelpunkt und den Genderstern aus der Schriftsprache von Schulen und Behörden verbannen. Laut einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey für die „Augsburger Allgemeine“ befürworten 74 Prozent der Deutschen Söders Anti-Gender-Vorstoß.

 

Das künftige Genderverbot sieht der CSU-Vorsitzende als Antwort auf einen links-grünen Kulturkampf. Im Landtag warf er der Ampel-Regierung vor, es mit Liebhaberprojekten wie dem Gendern, der Cannabis-Legalisierung und dem Selbstbestimmungsrecht zu übertreiben. „Haben wir keine anderen Probleme in Deutschland?“, fragte er. Bei Facebook kommentierte er die geplante Drogenliberalisierung so: „Keiner kann wollen, dass nun eine neue Droge legalisiert wird. Alle Länder, die diesen Weg gegangen sind, sind gescheitert. Der Bundesgesundheitsminister sollte besser dafür sorgen, dass in den Apotheken genügend Hustensäfte und Antibiotika für Kinder vorrätig sind statt sich um die Legalisierung von Drogen zu kümmern.“

 

Auch beim Bürgergeld, das mit Beginn des neuen Jahres um 12 Prozent steigt, setzt sich der 56-Jährige von SPD und Grünen ab. „Die Ampel muss die für Januar vorgesehene Erhöhung um ein Jahr verschieben und noch einmal völlig neu ansetzen“, forderte er. „Die Leistung muss getrennt werden von Flucht und Asyl. Es braucht mehr Motivation, um arbeiten zu gehen. Deshalb werden wir im Bundesrat eine Initiative zur Generalüberholung des Bürgergelds einbringen. Denn die Balance zwischen Fördern und Fordern stimmt nicht.“ Weil es falsche Anreize setze und insgesamt zu hoch sei, habe das von der Ampel als Hartz-IV-Nachfolger eingeführte Bürgergeld den Praxistest nicht bestanden. „Wer arbeitet, muss erkennbar mehr bekommen als jemand, der nicht arbeitet. Deshalb brauchen wir Änderungen“, argumentierte Söder. Auf der Arbeits- und Sozialministerkonferenz (ASMK) paar Tage nach diesen Einlassungen haben die unionsgeführten Landesminister der vorgesehenen Erhöhung des Bürgergeldes jedoch zugestimmt – einschließlich der christsozialen Arbeitsministerin von Bayern, wie der „Tagesspiegel“ berichtete. Laut der „Bild“-Zeitung soll Bayern jedoch mit Nein gestimmt haben. Der ASMK-Beschluss ist aber sowieso nur eine Willensbekundung und hat selbst keine rechtsverbindliche Wirkung. 

 

Der „Münchner Merkur“ sieht Markus Söder trotz seiner Wiederwahl und Schlagzeilen-Dominanz in keiner sonderlich komfortablen Situation: „Bei der Landtagswahl wurde die angepeilte Messlatte von 40 Prozent klar verfehlt, die CSU steht nach der zweiten Landtagswahl unter Söder so schwach da wie seit Anfang der 50er-Jahre nicht mehr. Und die Erwartung, dass man den aufmüpfigen Aiwanger nach der Wahl an die Kette legen kann, weil dann die Bierzeltsaison vorbei ist, in der der Chef der Freien Wähler groß aufgetrumpft hatte, hat sich auch nicht erfüllt.“ Schon geht in der CSU die Sorge vor einem Absturz bei der Europawahl 2024 um. Bei einem Ergebnis von deutlich unter 40 Prozent käme sie deutschlandweit nicht mehr über die fünf Prozent. Zwar gibt es beim Urnengang fürs Europaparlament keine Fünf-Prozent-Hürde, aber bei der Bundestagswahl 2025. Bei der letzten Bundestagswahl kam die CSU hochgerechnet aufs ganze Land nur auf 5,2 Prozent. Als eigenständige Partei muss sie bundesweit mehr als fünf Prozent der Stimmen holen. Wenn ihr das nicht gelingt, helfen ihr auch die vielen Direktmandate nicht, weil eine Wahlrechtsreform der Ampel die Streichung der sogenannten Grundmandatsklausel vorsieht. Segnet das Bundesverfassungsgericht diese Reform ab, fällt die Grundmandatsklausel weg. Sie sichert Parteien bislang den Bundestagseinzug, wenn sie mindestens drei Wahlkreise direkt gewinnen. Für die CSU kanndie Karlsruher Entscheidung zu einer Überlebensfrage werden. Sollte die CSU in zwei Jahren aus dem Bundestag fliegen, würde ausgerechnet Söder als Totengräber der Partei von Franz Josef Strauß in die Geschichte eingehen.

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