Aida Garifullina tritt nicht in Hochzeit des Figaro auf
Aida Garifullina tritt nicht in Hochzeit des Figaro auf

von Johannes Kraus von Sande


Aida Garifullina tritt nicht in Hochzeit des Figaro auf

München - Die Bayerische Staatsoper hat nach umfangreichen Behinderungen, vor allem verursacht durch die Corona-Gesetzgebung des Bundes und des Freistaates Bayern, den Spielbetrieb wiederaufgenommen. Dies gilt auch für die Münchener Opernfestspiele, die mit verschiedenen Änderungen ebenfalls durchgeführt werden. 

Veritable Weltstars sucht man im Rahmen des Programms jedoch vergeblich, auch die für die Rolle der „Susanna“ in der „Hochzeit des Figaro“ angekündigte Star-Sopranistin Aida Garifullina musste durch die wenig bekannte Sofia Fominaersetzt werden. Die Rahmenbedingungen ihres Auftrittes waren Garifullina insgesamt nicht attraktiv genug, was angesichts rauschender Erfolge der letzten Wochen in Russland auch nicht weiter verwundert. Hier war Garifullinaan der Seite des Weltstars Placido Domingo aufgetreten, der dort entsprechend seiner Leistung und seines musikalischen Lebenswerkes gewürdigt wird. In anderen Ländern verwehrt man ihm derzeit vielfach seine Anerkennung, da er sich zu Recht oder zu Unrecht einer Reihe von Vorwürfen der sexuellen Belästigung ausgesetzt sieht. Moralisierende Gesellschaften, Politiker, Intendanten und Festspielleiter sind in vielen westlichen Ländern jedoch nicht in der Lage, zwischen der musikalischen Leistung eines Musikers und persönlichen Gegebenheiten zu unterscheiden. Auch umfangreiche Erklärungen und Entschuldigungen des Weltstars werden in der Opernszene vielfach nicht akzeptiert und angenommen. Garifullina hingegen schätzt ihren Kollegen sehr und ist der Meinung, ihm viel zu verdanken. Wie sie immer wieder versichert hat, hat sie Placido Domingo immer als einen höflichen, aufmerksamen und korrekten Menschen erlebt. Im westlichen Kulturbetrieb ist jedoch ein politisch korrekter und wenig bekannter oder sogar begabter Künstler inzwischen scheinbar oft mehr willkommen, als ein genialer, ja sogar weltbekannter, aber mit unliebsamen Anschuldigungen konfrontierter Künstler. Insbesondere dann, wenn die Anschuldigungen in den aktuellen politischen Zeitgeist einer MeToo-Kampagne passen. Prominentes bayerisches Beispiel und Opfer einer hypermoralisierenden Diskussion in der Kulturszene war auch der Wagner-Experte Stefan Mickisch geworden, der nach umstrittenen Äußerungen zu Gegnern der aktuellen Corona-Politik in Bayreuth zur „persona non grata“ erklärt worden war und dann überraschend aus dem Leben schied. Seine grandiose Lebensleistung war nach einer vielleicht unbedachten und tatsächlich diskussionswürdigen Äußerung praktisch als hinfällig und bedeutungslos erklärt worden, was Mickischwohl auch in seinen letzten Stunden bewegt haben dürfte. Unbestritten ist jedoch, dass er vielen Menschen, die sich ansonsten wenig mit Musiktheorie oder überhaupt klassischer Musik beschäftigten, einen einzigartigen Zugang zum Verständnis von Künstlern wie Richard Wagner, Ludwig van Beethoven, Jaques Offenbach oder auch Richard Strausseröffnet hat. 

Ungeachtet derartiger Auseinandersetzungen waren die Auftritte Domingos und Garifullinas in der Rimsky-Korsakow-Oper „Sadko“ in Russland ein gewaltiger Erfolg, der ausschließlich der musikalischen Leistung der beiden Künstler und sonstigen Beteiligten geschuldet war. Peinlich ist der Ausfall Garifullinas für die Bayerische Staatsoper in jedem Falle, da sie hier bereits für die letzten Spielzeiten angekündigt war. Hier waren die Veranstaltungen teils bereits durch die Pandemie bedingt ausgefallen, einen angemessenen Ersatz hatte man nicht organisieren können oder wollen. Denkbar wären durchaus auch Auftritte ohne Publikum gewesen, die im digitalen Zeitalter auch anderweitig hätten publiziert werden können. Als Beispiel möge ein sehr gelungener Auftritt Garifullinas in der Dresdener Frauenkirche betrachtet werden, der im ZDF übertragen wurde, oder auch ein entsprechendes Konzert im Vatikan. 

Insgesamt muss leider der Schluss gezogen werden, dass derzeit kulturelle Spitzenleistungen sowohl durch eine ignorante Corona- und Kulturpolitik gefährdet werden als auch durch eine hypermoralisierende und an politicalcorrectness leidende Sicht von Politik und Gesellschaft auf den Kulturbetrieb. Ein Künstler kann und darf Ecken und Kanten haben, Äußerungen außerhalb des Kulturbetriebes muss ein höheres Maß an Toleranz entgegengebracht werden, die fachspezifische und künstlerische Leistung sollte in Zukunft wieder im Vordergrund stehen.

x